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Impuls zu Weihnachten

Zum 24., 25. und 26. Dezember

Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Geistlicher Beirat pax christi – Deutsche Sektion e.V.

Weihnachten: Freude über alles, was lebt. Protest gegen alles, was Leben zerstört.

Vorneweg
„Gott kommt zur Welt“, so lassen wir uns zusagen. Das Kind in der Krippe ist der Inbegriff des Lebens. An Weihnachten geht es ums Leben, um das Leben in seiner ganzen Ursprünglichkeit, um den Ursprung des Lebens in Gott. Deshalb gehört das Leben an diesen Tagen an die ganz große Glocke: Freude über alles, was lebt, Leben schenkt und schützt; Protest gegen alles, was dem Leben an den Kragen will und es zerstört. 

Die Realität ist: Es herrscht Krieg in Ländern, die uns nahe sind. In unserer Alltagswahrnehmung sind die Kriegsfolgen deutlich spürbar und uns nahe gerückt. Dabei sind verheerende Kriege weltweit keine Neuigkeit. Ich höre oft die zweifelnd verzweifelnde Frage, wie die Kriege beendet werden könnten – oder auch: in welche Dynamik sie am Ende führen könnten. Zu erinnern ist, was bei der Gründung des Weltkirchenrates in Amsterdam vor 75 Jahren formuliert wurde: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ Der Grund für diese Aussage: Wir teilen als Christ:innen mit dem Judentum und dem Islam den Glauben: Jeder Mensch ist ein Abbild Gottes. Jeder Mensch hat eine unteilbare und unverlierbare Würde. Und deshalb widerspricht diesem kostbaren Glauben auf fundamentale Weise, wenn Menschen Menschen töten, wenn Menschen durch Menschen getötet werden. 

Mich hat vor einigen Tagen ein Weihnachtsbrief mit folgenden Sätzen erreicht: „Gott können wir nur ehren, wenn wir dem Frieden unter seinen Menschen dienen, ihn suchen inmitten der Gewalt, nicht ‘kriegstüchtig‘ werden, sondern ‘friedenstüchtig‘. Gott sei Dank gibt es in allen Religionen, in allen Völkern Menschen, die friedenstüchtig sind, die inmitten der Gewalt Verständigung, Versöhnung, Frieden suchen und sich oft mit ihren Leben dafür einsetzen. Sie gibt es in Russland und der Ukraine, in Israel und Palästina, auch in Gaza.“

1. Heilige Nacht

„Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren…“  Lukas 2,1-14
Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. 

In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens. 

Lied: Nun freut euch, ihr Christen  GL 241 (ö)
1) Nun freut euch, ihr Christen, singet Jubellieder
und kommet, o kommet nach Bethlehem.
Christus der Heiland stieg zu uns hernieder.
Kommt, lasset uns anbeten, kommt, lasset uns anbeten,
kommt, lasset uns anbeten den König, den Herrn.

2) O sehet, die Hirten eilen von den Herden
und suchen das Kind nach des Engels Wort;
gehn wir mit ihnen, Friede soll uns werden.
Kommt, lasset uns anbeten….

3) Der Abglanz des Vaters, Herr der Herren alle,
ist heute erschienen in unserm Fleisch:
Gott ist geboren als ein Kind im Stalle.
Kommt, lasset uns anbeten, kommt… 

4) Schaut, wie er in Armut liegt auf Stroh gebettet,
o schenken wir Liebe für Liebe ihm!
Jesus, das Kindlein, dass uns all errettet:
Kommt, lasset uns anbeten, kommt… 

Gedicht: Nelly Sachs, Sehnsucht
Alles beginnt mit der Sehnsucht.
Immer ist im Herzen Raum 
für mehr, für Schöneres, für Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Verstehen,
nach Freundschaft und Liebe. 
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf:
dass es so bleibe,
dass es nicht vorübergehe.  
Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,
mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?
So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen,
dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
dich gefunden zu haben.

Ein Mensch wird geboren, der eine Vision vom guten Leben für alle lebte 
Noch ist Weihnachten nicht verboten! Wir begehen das Geburtstagsfest für einen Menschen, der voller Sehnsucht steckte und geprägt war von einer Vision vom guten Leben für alle. Die hat er gelebt. Ich werde mich an ihn erinnern und an sein „In-die-Welt-Kommen“. Und ich tue es trotz vielem und vielem zum Trotz – und auf guten Glauben hin. Ich lasse mir diese Erzählung vom Licht und von einer seltsamen Geburt im Stall nicht ausreden. Ich spüre, dass ich gute Worte, ermutigende Worte, in diesen Zeiten besonders brauche. 

Seit 2000 Jahren lässt die alte Geschichte Licht in der Finsternis aufgehen: Licht, das mich motivieren will, meinem Leben und einem Engagement für mehr Frieden und Gerechtigkeit auf der Spur zu bleiben und nicht zu resignieren – komme, was da wolle. 

„Alle Jahre wieder“ höre ich, dass da von einem neuen Anfang erzählt wird, einer Geburt, von einer Mutter und einem Kind, von Tieren und Hirten und Engeln. Da wird berichtet, dass Heilendes in der Nacht (!) geschehe. Da setze einer einen Anfang, wo meine Wege enden. Da bewirke einer eine Wandlung, wo ich nur Gewordenes sehe. Da sei ein Mensch, der liebe: auf eigene Gefahr, gratis, umsonst, bedingungslos. Ich feiere seine Geburt und wünsche mir, dass ich in seiner Spur mich bewege und so seine Geburt, sein Anfangen auch in mir geschehen kann. 

Ich will mich ermutigen lassen, mich auf das Leben, wie es wirklich ist, einzulassen. Also nicht auf die großen Erleuchtungen zu warten, sondern der Kraft des Augenblicks immer neu zu trauen, um zu wachsen und zu reifen und mitzugestalten an menschlicheren Strukturen. Ich möchte wenigstens meine Wünsche nach einem anderen Leben wachhalten, da ich meine kleine Kraft für Veränderung anzunehmen habe und die Welt nicht aus den Angeln heben kann. Was immer ich über den sagen kann, der in einem Bretterverschlag, dem „Stall“ von Bethlehem, zur Welt kam und früh zur Flucht nach Ägypten gezwungen wurde: ein Leben zwischen Krippe und Kreuz erscheint nicht gerade beneidenswert. 

Und doch drückt dieser arme Mann aus Nazareth mit seinem Gott der kleinen Leute eine Kraft aus, eine Widerstandskraft gegen ein Sich-Abfinden mit jeglicher menschenunwürdigen Situation. Ohne ihn würde ich wohl unweigerlich zu einem besinnungslosen und besinnlichen Zyniker – und wäre so noch ärmer an Hoffnung.

Hoffnung ist das große Los, nicht trostlos zu sein. Ich darf jemandem zuhören, den ich dann getrost auch einen Engel nennen kann, der sagt: „Friede auf Erden, Friede mit den Ärmsten.“ Die Wölfe werden neben den Lämmern wohnen, die Panther bei den Böcken weiden. Kalb und Löwenjunge fressen zusammen… und das kleine Kind steckt die Finger in die Höhle der Schlangen“ (vgl. Jes 11). Kein Unrecht geschieht mehr, sagt Jesaja. Eine solche Vision ist für mich nicht Spinnerei. Sie gründet für mich Hoffnung, ist Mut zum nächsten Schritt und ist irgendwie Vertrauen und Gewissheit, dass alles Aufstehen und aller Aufstand für das Leben Sinn macht, egal wie es ausgeht. Eine solche Sicht auf das Leben ist für mich das große Los, nicht trostlos zu werden.

Fulbert Steffensky, Die Hoffnung kann lesen
Vielleicht heißt Hoffnung gar nicht der Glauben an den guten Ausgang der Welt und an die Vermeidung ihrer Zerstörung.
Es garantiert uns keiner, dass das Leben auf der Erde in absehbarer Zeit nicht kollabiert…
Aber wir können tun und aufrecht gehen, als hofften wir.
Hoffen lernt man dadurch, dass man handelt und Schritte setzt, als sei Rettung möglich.
Hoffnung garantiert keinen guten Ausgang der Dinge.
Hoffen heißt, darauf vertrauen, dass es sinnvoll ist, was wir tun. 
Hoffnung ist der Widerstand gegen Resignation, Mutlosigkeit und Zynismus. 
Die Hoffnung kann lesen! Sie vermutet in den kleinen Vorzeichen das ganze Gelingen. 
Sie stellt nicht fest, was ist. 
Sie ist eine wundervolle untreue Buchhalterin, die die Bilanzen fälscht und einen guten Ausgang des Lebens behauptet, wo dieser noch nicht abzusehen ist. 
Aus: Der Andere Advent 2018/2019, 5. Dezember 

2.  Weihnachtstag

„Im Anfang – das Wort“   Johannes 1,1-5, 9-14
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.

Lied: Es ist ein Ros entsprungen  GL 243 (ö)
1) Es ist ein Ros' entsprungen aus einer Wurzel zart, 
wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art 
und hat ein Blümlein 'bracht 
mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht. 

3. Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; 
mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis, 
wahr‘ Mensch und wahrer Gott, 
hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod. 

Gedicht: Hilde Domin, Nur eine Rose als Stütze
Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.

Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehen.

Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere.
Ich will den Sand unter den kleinen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.

Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.

Ein wirklicher Halt im Leben ist, wenn ich zu lieben wage
„…alles in der Schwebe halten…“ – so sagen wir oft. Und zwar dann, wenn wir nicht wissen, wie es werden soll und wie es werden wird - und wenn wir neu nachzudenken haben. Jede und jeder hat seine eigenen, ganz individuellen Schwebezustände zu durchleben. Und in der „Welt“ liegt vieles im Argen. Und so dauern eben viele Fragen an: … ob sich der Gesundheitszustand eines geliebten Menschen verbessert oder weiter verschlechtert … wie wir in der nächsten Zeit über die Runden kommen werden … ob ich mich einleben kann in die neue Situation, die sich mir stellt … ob ich mein verspieltes Vertrauen wiedergewinnen kann, die Menschen neu für mich einnehmen kann … ob wir uns wieder zusammenraufen oder doch auseinandergehen werden … ob ich sie finde, die große Liebe … ob Europa es schaffen wird mit dem Ein-Friedensprojekt-Sein … ob es tragfähige Regierungen geben kann … ob den Versuchen zum Demokratieabbau weltweit Einhalt geboten werden kann … ob die vielen Widerworte gegen menschlichen Größenwahn fruchten werden, die gegen den patriarchalen und nationalen Größenwahn, den religiösen und rassistischen … wie sich der Klimawandel aufhalten lässt … ob die verheerenden Kriege aufhören – Waffenstillstand und Verhandlungen beginnen können … wann endlich Frieden im Heiligen Land wird … ob die Kirche sich wandelt, sich reformiert, sich dialogisiert – und somit zum Ort wird, an dem der Zu-Spruch Gottes, die Menschenfreundlichkeit Gottes, erfahren werden kann und Menschen für ihr Leben prägende Erfahrungen machen dürfen … und … und … und …

„Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft“, schreibt die Dichterin Hilde Domin. Das ist eine ziemlich wackelige Angelegenheit, so „ein Nest auf der äußersten Spitze des Zweigs“. Da wird man tüchtig hin- und her geschüttelt - und man kann es mit der Angst zu tun bekommen. „Zimmer und Bett“ (Inbegriffe für Sicherheit und Geborgenheit) brauchen Bodenhaftung und sind in der Luft nicht zu machen. Die Luft ist nicht verlässlich – nicht einmal für die Vögel. Nichts und niemand kann sich unaufhörlich in der Luft halten – oben halten. 

Aber es hilft nichts. Auch wenn vieles in der Schwebe ist, muss ich mich irgendwie einrichten und damit zu leben versuchen. Letztlich geht es um die Frage: Was trägt mich wirklich, was gründet mich?  Mit dem, was man kaufen kann, mit vorgegaukelter heiler Welt, mit teuren Geschenken, mit allem Geld der Welt - mit all dem ist die Hoffnung nicht zu machen. Alles Schwindel, der uns schwindeln macht. Denn: Soviel ist für mich klar: Auch heute werde ich weiter mit meinen Schwebezuständen leben müssen. Aber was hält mich? 

Die Dichterin Hilde Domin hat ihre Antwort gefunden auf diese Frage. In ihrem Gedicht fasst sie es so zusammen: „Meine Hand greift nach einem Halt und findet nur eine Rose als Stütze!“ Ist diese Antwort banal - oder enttäuschend? Oder ist das eine weise Einsicht? Hilde Domin spricht nicht von einer Stütze, die gewaltig und mächtig daherkommt, sondern die zart ist - wie eine Rose. Wer sich an die Rose hält, dem können die Dornen auch die eine oder andere Verletzung zufügen. 

Aber: Es ist dennoch ein Halt, der stützt - wenn wir zu lieben wagen, wenn wir Menschenfreundlichkeit zu leben suchen. Denn dafür steht die Rose – symbolisch. Allein liebende Zuwendung trägt doch! Wenn Menschen sich in Liebe zugewandt sind, sich entgegenkommen mit gutem Wort, sich jeweils auch zuvorkommend begegnen, dann entsteht etwas Tragendes. Ich als Christ sage mir: Liebe, bedingungslose, von Mensch zu Mensch, ist ein Spiegelbild der Liebe Gottes zu uns Menschen. „Du bist geliebter Mensch, unabhängig von all deinen Aktiva und Passiva – bedingungslos, gratis, wirklich.“ Wenn ich in allen Schwebezuständen überleben will, dann brauche ich ein solches Wort, dann brauche ich Gemeinschaft, Freundschaft, Beziehung und Liebe. Dann brauche ich ein gutes Miteinander. Und das beinhaltet Einfühlungsvermögen, Empathie, Verständnis, Solidarität, Kollegialität, Hilfsbereitschaft, Kooperation, Verlässlichkeit, Diskretion - und vor allem: nicht verurteilendes Denken. Das bedeutet für mich: wirklich offen und da sein, wahrnehmen, was ist, sehen, was wirkt, Freude und Trauer miteinander teilen, sich weigern, Dinge einfach hinzunehmen und zu schlucken, andere Menschen mit der mir möglichen Kraft und Zärtlichkeit daran erinnern, dass sie ein geliebter Mensch sind, wenn sie das vielleicht vergessen haben. 

Andreas Knapp, das wort will fleisch werden 
wenn worte wirklich etwas sagen könnten
und nicht nur
hohle hülle blieben 

wenn worte fingerspitzen hätten
und sich einfühlen könnten
bis unter die haut

wenn worte hand und fuß bekämen
und schrittmacher wären
für eine bessere welt

wenn worte etwas bewegen könnten
und ihre wahrheit
mit händen zu greifen wäre

wenn gott selbst ein solches wort wäre
in fleisch und blut
uns übergegangen

3.  Stephanustag

„So steinigten sie den Stephanus.“  Apostelgeschichte 6,8-10; 7,54-59
In jenen Tagen tat Stephanus aber, voll Gnade und Kraft, Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Doch einige von der sogenannten Synagoge der Libertiner und Kyrenäer und Alexandriner und Leute aus Kilikien und der Provinz Asien erhoben sich, um mit Stephanus zu streiten; aber sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen. Als sie seine Rede hörten, waren sie in ihren Herzen aufs Äußerste über ihn empört und knirschten mit den Zähnen gegen ihn. Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten einmütig auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß. So steinigten sie Stephanus. 

Lied: Heller Stern in der dunklen Nacht   GL-Münster 761
Kehrvers: Heller Stern in der dunklen Nacht,
zeig allen Menschen den Weg zur Krippe.
Heller Stern in der dunklen Nacht,
Gott hat Licht in die Welt gebracht.

1) Menschen hoffen von Anbeginn,
hoffen trotz aller Dunkelheiten,
Menschen fragen nach Heil und Sinn,
finden Antwort in Bethlehem.

2) Menschen suchen von Anbeginn,
suchen trotz aller Sicherheiten,
Menschen fragen nach Ziel und Sinn,
finden Antwort in Bethlehem.

3) Menschen lieben von Anbeginn,
lieben trotz aller Traurigkeiten,
Menschen fragen nach Glück und Sinn,
finden Antwort in Bethlehem.

Gedicht: Mascha Kaléko, Nacht
Die Nacht, 
In der 
Das Fürchten 
Wohnt 
Hat auch 
Die Sterne 
Und den Mond. 

Krippe und Kreuz gehören zusammen: Von der Begegnung mit einem Stephanus unserer Tage
Bei meinem Besuch im Quiché in Guatemala begegnete ich einem Stephanus unserer Tage. Ich machte eine Erfahrung, die mir bis heute nachgeht. Sie kommt mir auch immer wieder in die Erinnerung, wenn ich von Verheerungen durch Krieg und Gewalt höre. 

Ich spürte in dieser Begegnung - quasi wie eine Nötigung - die Notwendigkeit, einer Sprache Glauben schenken zu müssen, die ein Versprechen an den geschändeten Menschen ist. Es war in dem Dorf Zacualpa. Ich hörte Augenzeugenberichte von Menschenschändungen und Massakern ungeheuren Ausmaßes. Ich wurde in einen ehemaligen Folterkeller der guatemaltekischen Armee geführt. Ein Kreuz hing dort – ein einarmiger Christus. Die Regierungssoldaten hatten dem Kreuzkorpus in der Dorfkirche den rechten Arm abgeschossen. In Guatemala sind mehr als 150.000 Menschen im 36 Jahre dauernden Bürgerkrieg (1960-1996) getötet worden, und mehr als 50.000 Menschen gelten noch immer als spurlos vermisst. Die Provinz Quiché, die hauptsächlich von Mayas bewohnt ist, war von Verfolgung und Gewalt am schlimmsten betroffen. Hier geschah Genozid. Ich nahm wahr: Brutalität zerstört nicht nur den Leib, sondern stellt jede Menschlichkeit in Frage. Sie verletzt im Kern Menschenwürde. Und ich spürte eine bodenlose Schwierigkeit, diese brutale Wirklichkeit mit der „Frohen“ Botschaft zusammenzubringen? 

Ich hörte zu: Wer gegen die Gewalt ohne Gewalt kämpfte, wurde sehr oft selbst ein Opfer der Gewalt. Die Entscheidung des ermordeten Katecheten Don Miguel, sich lieber niederschlagen und aufs Kreuz legen zu lassen wie Jesus, als andere niederzuschlagen, hatte eine wesentliche Intention: Er wollte den Teufelskreislauf von Gewalt und Gegengewalt aufsprengen. Er hatte zu viel Hass erlebt, als dass er selber hassen wollte. Er wollte aller erfahrenen Gewalt mit Seelenkraft begegnen. Er wollte in der Spur Jesu bleiben. Er war überzeugt, dass die Macht der Liebe unerschütterlich ist, dass Gott auch denen zugewandt bleibt, die am Boden liegen – selbst durch den Tod hindurch. Und dass Liebe die größere Macht ist, weil sie neue Energien freisetzt, eine neue Schöpfung entstehen lässt. Darauf hat er gesetzt. 

Dieser Mann geht mir seitdem nicht mehr aus dem Sinn. Das Kreuz aus Zacualpa mit dem einarmigen Christuskorpus verbinde ich mit ihm. Dieses besondere Kreuz ist mir seit dieser Begegnung eine Inspiration. Vor ein Kreuz zu treten – und auch vor eine Krippe, mich davor zu verneigen, ist für mich seitdem immer wieder neu ein Ausdruck dafür, nicht wegschauen zu wollen und meinen Blick zu schärfen für die Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit. 

Die Grausamkeit menschlicher Gewalttätigkeit kann oft in die Knie zwingen. Eine Kniebeuge vor einem Kreuz bedeutet für mich das Versprechen, für Veränderung und Verwandlung einzutreten, auszusteigen aus der Gewaltspirale und den Hasstiraden, mich zu orientieren an Jesus dem Christus, der gewaltfrei einen neuen Anfang machte und der darauf setzte, dass absolut jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und eine Würde hat, die ihm nicht zu nehmen ist. 

Krippe und Kreuz: Sie beide gehören untrennbar zusammen. Deshalb auch immer die Erinnerung in unseren Kirchen an die Steinigung des Stephanus am Zweiten Weihnachtstag. 

Eine chassidische Geschichte: Was kann ich tun?  
Ein junger Mann kommt zu einem Rabbi und fragt: „Was kann ich tun, um die Welt zu retten?“
Der Rabbi antwortet: „So viel, wie du tun kannst, dass in der Nacht ein Stern aufgeht.“
„Aber was sollen dann alle meine Gebete und meine guten Werke?“, fragt der junge Mann.
Darauf der Rabbi: „Sie helfen dir, wach zu sein, wenn der Stern aufgeht.“

Segenszuspruch:  Du Gott der Anfänge 
Du Gott der Anfänge segne uns, 
wenn wir in die Zukunft gehen, 
wenn wir Begegnungen suchen, 
wenn wir Neuland betreten. 

Du Gott der Anfänge segne uns, 
wenn wir aufbrechen ins Ungewisse, 
wenn wir Altes hinter uns lassen, 
wenn wir Ungewohntes wagen. 

Du Gott der Anfänge segne uns, 
wenn wir nachsinnen und umdenken, 
wenn wir umkehren und neu beginnen, 
wenn unser Mut zum Wagnis gefordert ist. 

Du Gott der Anfänge segne uns, 
wenn wir uns locken lassen von Deinem Wort, 
wenn wir uns leiten lassen von Deinem Geist, 
wenn wir uns helfen lassen von Deiner Gnade. 

Du Gott der Anfänge segne uns, 
wenn wir uns ausstrecken nach Deinem Licht, 
wenn wir uns sehnen nach Deiner Nähe, 
wenn wir uns fallen lassen in Deine Hände. 

aus: Ad majorem Liederbuch, S. 259